EGMR: Frankreich - Verbot des Tragens eines Kopftuchs für Staatsbedienstete rechtmäßig
(Az.: 64846/11) Das Urteil des EGMR fügt sich nahtlos in die bisherige Rechtsprechung des EGMR ein. In Fragen der Religionsfreiheit räumt er den Mitgliedstaaten einen erheblichen Beurteilungsspielraum ein. So gestattete er die Verwendung von Kruzifixen in Klassenzimmern (in Italien) (Urt. v. 18.03.2011, Az.: 0814/06) und hielt das in Frankreich bestehende Burka-Verbot für mit Art. 8 und 9 EMRK vereinbar (Urt. v. 01.07.2014, Az. 43835/11). Im vorliegenden Fall hielten die Richter zwar den Schutzbereich der Religionsfreiheit für betroffen. Höher zu gewichten sei mit Blick auf den Beurteilungsspielraum aber das Neutralitätsgebot. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass eine strikte Trennung von Kirche und Staat regelrecht zu den Grundpfeilern der französischen Nation gehört. Vorschnell kann das Urteil daher auch nicht auf die Verhältnisse in Deutschland übertragen werden. Insoweit sei noch auf den Beschluss des BVerfG vom 27.01.2015 (Az.: 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10) verwiesen, in dem das Gericht ein pauschales Kopftuchverbot für nicht mit Art. 4 GG vereinbar hält. EGMR: Abtreibungsgegner darf Ärzte anprangern - Meinungsfreiheit (Az.: 3690/10) Dem Beschwerdeführer war von deutschen Gerichten verboten worden, in der Nähe einer Tagesklinik Flugblätter gegen Abtreibung, auf denen von "rechtswidrigen Abtreibungen" die Rede war, zu verteilen und die Namen der behandelnden Ärzte auf seiner Webseite zu nennen. Das BVerfG nahm die hiergegen gerichtete Beschwerde nicht zur Entscheidung an. Hierin liege ein Verstoß gegen Art. 10 EMRK, so der EGMR. Das Gericht verweist zu Recht auf die besondere öffentliche Bedeutung der Debatte. In der Bezeichnung als "Babycaust" kann nicht ohne Weiteres eine Gleichsetzung mit den Gräueltaten im Dritten Reich erblickt werden. Unzulässig dürfte - entgegen dem EGMR - aber die Nennung der behandelnden Ärzte sein. Insoweit weicht der EGMR auch von einer früheren Entscheidung ab (EGMR, Urteil vom 13.01.2011, Az.: 397/07 und 2322/07). BVerfG: Neutralitätsgebot - Bundesbildungsministerium muss AfD-Pressemitteilung von Internetauftritt entfernen (Az.: 2 BvQ 39/15) Das BVerfG hat im Wege der einstweiligen Anordnung (§ 32 BVerfGG) entschieden, dass die Pressemitteilung „Rote Karte für die AfD“ von der Homepage des Bundesministeriums für Bildung und Forschung einstweilen zu entfernen ist. Die (für den Eilrechtsschutz typische) Folgenabwägung fiel mit Blick auf Art. 21, 8 GG zugunsten der Antragstellerin aus. Das Gericht nimmt insofern bereits seine - ebenfalls examensrelevante - Entscheidung vom 16. Dezember 2014 (Az.: 2 BvE 2/14) in den Blick: "Nimmt das Regierungsmitglied für sein Handeln die Autorität des Amtes oder die damit verbundenen Ressourcen in spezifischer Weise in Anspruch, ist es dem Neutralitätsgebot unterworfen (vgl. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 16. Dezember 2014 - 2 BvE 2/14 -, juris, Leitsatz 2, Rn. 53). Eine Beeinträchtigung der Chancengleichheit im politischen Wettbewerb findet statt, wenn der Inhaber eines Regierungsamtes im politischen Meinungskampf Möglichkeiten nutzt, die ihm aufgrund seines Regierungsamtes zur Verfügung stehen, während sie den politischen Wettbewerbern verschlossen sind (vgl. BVerfG Urteil des Zweiten Senats vom 16. Dezember 2014 – 2 BvE 2/14 – juris, Rn. 55)." VG Stuttgart: Polizeieinsatz gegen Stuttgart-21-Gegner rechtswidrig (Az. 5 K 3991/13, 5 K 1265/14, 5 K 2184/14, 5 K 2704/14, 5 K 2705/14 und 5 K 2706/14) Im Herbst 2010 fanden die Proteste gegen das Großprojekt "Stuttgart 21" ihren vorläufigen "Höhepunkt". Als Demonstranten das Fällen von Bäumen verhindern wollten, setzte die Polizei Wasserwerfer, Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Dabei sind mehr als 100 Menschen verletzt worden. Das VG Stuttgart entschied nun, das die Polizei keine Platzverweise auf Grundlage des Polizeigesetzes hätte aussprechen dürfen. Solange die Versammlung - wie hier - nicht aufgelöst ist, stehe dem die Sperrwirkung des Versammlungsrechts entgegen. Erhebliche Zweifel äußert das Gericht auch der Verhältnismäßigkeit des Einsatzes von Wasserwerfern. BGH: Mieterhöhung - Nur die tatsächliche Wohnfläche zählt (Az.: VIII ZR 266/14) Bei einer ordentlichen Mieterhöhung (§ 558 BGB) kommt es nach dem BGH nur auf die tatsächliche Wohnfläche an, egal ob diese größer oder kleiner ist als vereinbart. Insoweit gibt das Gericht seine bisherige 10-Prozent-Rechtsprechung auf, nach der Flächenabweichungen erst ab mehr als 10 Prozent Rechtsfolgen für ein Mieterhöhungsverlangen haben können (BGH, Urt. v. 23.05.2007, Az.: VIII ZR 138/06). Ob das nunmehr auch für die 10-Prozent-Grenze bei der Bewertung einer Flächenabweichung als Mietmangel i.S.d. § 536 BGB gilt, lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Insoweit verweist der BGH bisher darauf, dass die Erheblichkeitsgrenze (§ 536 I 3 BGB) der Flächendifferenz im Interesse der Praktikabilität und der Rechtssicherheit bei 10% anzusetzen sei (BGH NJW 2010, 2648). Dies wird in der Literatur zu Recht kritisch gesehen (vgl. Beyer, NZM 2010, 417; Derleder, WuM 2010, 202). BGH: Zum Ersatz fiktiver Reparaturkosten (Az.: IV ZR 426/14) Nach ständiger Rechtsprechung ist die fiktive Schadensabrechnung im Bereich des Personenschadens (z.B. Verzicht auf einen medizinisch indizierten Krankenhausaufenthalt mit entsprechender Behandlung) ausgeschlossen. Ansonsten könnte der Geschädigte entgegen § 253 I BGB aus ideellen Schäden einen finanziellen Gewinn ziehen (BGH NJW 1986, 1538). Etwas anderes gilt aber für die Geltendmachung von Sachschäden; insoweit ist er nicht verpflichtet, den Geldersatz tatsächlich für die Reparatur oder Ersatzbeschaffung zu verwenden. Durch den Schadensfall ist ohnehin eine Vermögensminderung eingetreten, sodass Dispositionsfreiheit besteht (BGH NJW 2003, 2085). im vorliegenden Fall ging es darum, ob die Kosten der Reparatur bei einer (teuren) Vertragswerkstatt oder lediglich bei einer (günstigen) freien Werkstatt die Basis für eine fiktive Abrechnung bildet. Die "Erforderlichkeit" (vgl. § 249 II BGB) richtet sich nach der Entscheidung des BGH nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles. Bei Vorliegen eines neueren Fahrzeugs spreche beispielsweise einiges für eine (teurere) Vertragswerkstatt. OLG Hamm: Zum Erfüllungsort bei Rückabwicklung eines Kaufvertrages (Az.: 28 U 91/15) Streitig war im vorliegenden Fall die örtliche Zuständigkeit des Gerichts. Während der Beklagte auf den allgemeinen Gerichtsstand verwies, berief sich der Kläger auf § 29 ZPO, § 269 BGB. Letzterem folgte das Gericht: Bei der Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen Gebrauchtwagen liege der Gerichtsstand des Erfüllungsortes dort, wo sich das Fahrzeug im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung vertragsgemäß befindet, d.h. regelmäßig am Wohnsitz des Käufers. Diese Sichtweise entspricht auch der h.M. (vgl. nur Krüger, in: MüKo BGB, 7. Aufl. 2016, § 269 Rn. 41 m.w.N.). Diese erscheint in ihrer Allgemeinheit aber unzutreffend. Maßgeblich ist vielmehr allein § 269 BGB (so wohl auch Gaier, in: MüKo BGB, 7. Aufl. 2016, § 346 Rn. 31). OLG Koblenz: § 830 BGB - Haftung für Brandschäden durch Himmelslaternen (Az.:6 U 923/14) Weil sie Himmelslaternen aufstiegen ließen und ein Yachthafen in Brand geriet, müssen die Veranstalter einer Hochzeit nach dem vorliegenden Urteil Schadensersatz zahlen. Der Nachweis der haftungsbegründenden (!) Kausalität gelang zwar nicht, allerdings stand fest, dass die Verletzung des Eigentums auf (irgend)eine Himmelslaterne zurückzuführen ist. Daher stützte sich das OLG entgegen dem LG Koblenz auf § 830 I 2 BGB. In der Zurverfügungstellung der Laternen liege ein (anspruchsbegründendes) pflichtwidriges Verhalten. Solange - wie hier - feststeht, dass einer der "Beteiligten" die Rechtsgutsverletzung herbeigeführt hat und der Beitrag des Beklagten die Eignung zur Verursachung besitzt, kommt es auf die konkrete Feststellung des Verursachers nicht an. Auf das Erfordernis einer spezifischen Verbindung unter den mehreren "Beteiligten" kann hingegen verzichtet werden (h.M., vgl. Wagner, in: MüKo BGB, 6. Aufl. 2013, § 830 Rn. 59).
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